Der Kopf des Jochanaan - Salome in Brno

Richard Strauss’ Oper Salome ist faszinierend und grausam. Sie ist faszinierend, unter anderem weil die Charaktere extrem und komplex sind. Strauss hat basierend auf dem Text von Oscar Wilde für diese Geschichte eine schillernde Musik geschrieben, die die Grenzen der Tonalität streift. Grausam ist diese Oper, weil die Charaktere sich gegenseitig nichts schenken und erbarmungslos miteinander umgehen. Alle arbeiten bewußt oder unbewußt an der Durchsetzung ihrer eigenen egoistischen Ziele.

Linda Ballová als Salome am Janacek Theater in Brno

Nachdem Salome für ihren Stiefvater König Herodes getanzt hat, erfüllt er ihr widerwillig den Wunsch und lässt Jochanaan alias Johannes der Täufer enthaupten. Sein Kopf wird der Prinzessin auf einem silbernen Teller vom Henker präsentiert, woraufhin sie sich in einen rauschhaften Monolog singt:

„Ah!

Du wolltest mich nicht deinen Mund

küssen lassen, Jochanaan!

Wohl, ich werde ihn jetzt küssen!

Ich will mit meinen Zähnen

hineinbeissen,

wie man in eine reife Frucht

beissen mag.

…“

Der Abdruck

Der Kopf ist natürlich eine Kopie und wahrscheinlich das wichtigste Requisit jeder Salome-Inszenierung. Er wird im Vorfeld von den Mitarbeitern der Maskenabteilung angefertigt und soll dem realen Kopf des Sängers so weit es geht ähneln. Bei meinem Jochanaandebüt am Janacektheater Brno war es auch für mich an der Zeit für einen Kopfabdruck.

Etwa zwei Monate vor Beginn der szenischen Proben wurde ich nach Brno eingeladen. Das Produktionsteam um Regisseur David Radok strebte eine hochrealistische Darstellung des Kopfes an und engagierte dafür den Künstler Radek Nivnicky aus Prag. Gemeinsam mit ihm und einer  Maskenbildnerin des Theaters erstellten wir innerhalb von zwei Stunden den Abdruck. Geplant war, den Kopf des Jochanaan mit offenem Mund auszuarbeiten. Das bedeutete also, daß auch mein Mund während des gesamten Abdruckprozesses offen bleiben musste.

Wir  fertigten zuerst ein Mundstück an, welches ich nach kurzer Aushärtungszeit in den Mund einsetzte. Danach begann Radek Stück für Stück einzelne Schichten Silikon auf mein Gesicht und den gesamten Kopf auszutragen. Nachdem circa 4-5 Schichten Silikon aufgebracht wurden, kamen wir am Ende zum Gips. Dieser wurde kurz angerührt, aufgebracht und umschloß am Ende meinen gesamten Kopf. Als am Schluß auch Gips auf den Augen lag wurde es plötzlich stockdunkel. Atmen konnte ich für die restlichen zwanzig Minuten durch zwei Öffnungen an der Nase. Ich machte mir ein paar schöne Gedanken und versuchte an etwas anderes zu denken. Allerdings hatte ich durch das eingesetzte Mundstück nach einiger Zeit Schwierigkeiten zu schlucken. Ein mulmiges Gefühl machte sich bei mir breit. Minuten wurden zu Stunden. Am Ende wurde ich vom Gips und Silikon befreit und nicht nur ich, sondern alle Anwesenden waren doch erleichtert, daß wir es hinter uns hatten. Wir warteten gespannt auf das Ergebnis.

Bei den proben

Zu Beginn der szenischen Proben kehrte ich zurück nach Brno. Der Kopf war bereits fertig und beim ersten Anblick war ich sofort fasziniert von der meisterlichen Arbeit des Kollegen aus Prag. Die realistische Darstellung war geglückt. Jedes Detail wie Fältchen, Barthaare und  Geheimratsecken war zu erkennen. Der offene Mund und das eine geöffnete Auge hatten dabei für mich nicht nur einen gequälten Ausdruck. Jochanaan schien auch erstaunt und überrascht zu sein. Vielleicht ist der Täufer im Moment des Todes erfüllt von einer Erwartung auf das Kommende, auf eine Erlösung. Einen Ausdruck, den ich dann auch später in der szenischen Arbeit in die Gestaltung der Rolle hineinnahm, denn von nun an war der Kopf immer präsent. Wir konnten ihn in den Proben benutzen und er wurde unser treuer Begleiter.

Inszenierung

Während des erwähnten Schlussmonologs hält Salome den Kopf in ihren blutigen Händen und küsst ihn am Ende auf den Mund, beißt hinein, „wie man in eine reife Frucht beißen mag.“ Blut überall - an ihren Lippen, an ihren Händen, auf dem Boden. Das eigentlich Brutale geschieht allerdings im Hintergrund: in unserer Inszenierung sitzt Königin Herodias herrschaftlich an einer langen Tafel (genial gespielt von Eva Urbanova). Ganz allein verspeist sie ein Abendessen. Zuerst probiert sie genüßlich den Wein, dann folgen die Speisen. Ab und zu wirft sie einen flüchtigen, aber zufriedenen Blick auf ihre Tochter. Aber irgendwann wird ihr eine weitere Karaffe mit einer dunklen Flüssigkeit gereicht. Ist es Wein oder ist es das Blut des Jochanaan? Man beginnt sich zu wundern, und die Art, wie Herodias an der Flasche riecht, läßt einem unvermittelt einen Schauer über den Rücken laufen. Mit Kennerblick genießt sie daraufhin ihr Getränk. Als ich die Szene das erste Mal in den Bühnenproben sah, war ich begeistert von diesem Moment und den gegensätzlichen Abläufen: im Vordergrund Salome in blutiger Extase und hinter ihr Herodias, den Moment in einer fast weihevollen Stille genießend, grausam und faszinierend zugleich.

Erster Soldat: Josef Skarka, Narraboth: Vít Nosek, Salome: Linda Ballová, Jochanann: Birger Radde

Besetzung:

Salome - Linda Ballová

Herodes - Jaroslav Brezina

Herodias - Eva Urbanová

Jochanaan - Birger Radde

Narraboth - Vít Nosek

Page - Jana Hrochová

Erster Jude - Zbigniew Malak

Zweiter Jude - Pavel Valenta

Dritter Jude - Petr Levícek

Vierter Jude - Michael Robotka

Fünfter Jude - Kornél Mikecz

Erster Nazarener und erster Soldat  - Josef Skarka

Zweiter Nazarener - Zoltán Korda

Zweiter Soldat + Kappadozier - David Nykl

Ein Sklave - Jitka Zerhauová




Dirigent: Marko Ivanovic

Regie: David Radok




Premiere: 17.06.2023 Janacek Theater Brno Mehr erfahren